Notizen |
- Goethes „Demoiselle Delph“
siehe Goethe: Dichtung und Wahrheit
Sie kümmert sich nach dem Tod der Eltern (die Mutter Christine, Edle von Walzdorf stirbt am 28.01.1798 an einer Mastitis und der Vater am 12.03.1798) um Ihren Neffen Carl Heinrich Ferdinand Henking , geboren in Heidelberg am 08.11.1797, der im Alter von 4 Monaten zum Vollwaisen geworden war.
Sie kannte Lili Schönemann schon als Kind, mochte G. und war diejenige, die Ostern 1775 die - Zustimmung beiderseitiger eltern- zu G.s - Verlöbnis- mit Lili eroberte. Und damit G zu der Erkentinis verhalf: Nun der Zweck näher heranrückte, wollte es hüben und drüben nicht vollkommen passen (DuW, 17.Buch) das verlöbnis ging in die Brüche, die Freundschaft mit Lili und G. blieb bis an ihr lebensende erhalten. metzler goethe Lexikon S. 88
17. Mai 1775: 1. Besuch Johann Wolfgang von Goethes in Heidelberg (mit den Brüdern Grafen Stolberg)
17?.-20. Juli 1775: 2. Besuch Johann Wolfgang von Goethes in Heidelberg (mit den Brüdern Grafen Stolberg)
30. Oktober-4. November 1775: 3. Besuch Johann Wolfgang von Goethes in Heidelberg (bei Delph, Aufbruch nach Weimar)
23. September 1779: 4. Besuch Johann Wolfgang von Goethes in Heidelberg (mit Prinz Carl August von Weimar, auf der Reise nach der Schweiz)
19. Februar 1782: die Schwestern Delph erwerben das Haus Hauptstraße 196 um 1800 fl.
4.-7. August 1793: 5. Besuch Johann Wolfgang von Goethes in Heidelberg (bei seinem Schwager Johann Georg Schlosser)
25.-27. August 1797: 6. Besuch Johann Wolfgang von Goethes in Heidelberg (3. Reise von Frankfurt/Main nach der Schweiz)
> Gedenktafel am Haus Hauptstraße 196 („Von hier/ aus dem Haus seiner mütterlichen Freundin Dorothea Delph/ reiste Goethe/ der Einladung KARL AUGUST'S folgend/ am 4. November 1775 nach Weimar“) (irrtümlich zugeordnet)
Dorothea Delph (* um 1730 in Heidelberg; † 20. Oktober 1808 ebenda) war eine selbständige Kauffrau (in der zeitgenössischen Literatur als „Handelsjungfer“ bezeichnet) in Heidelberg, die als „mütterliche Freundin“ Goethes bekannt wurde. Goethe besuchte sie mehrmals in Heidelberg. Im Herbst 1775 versuchte Dorothea Delph, Goethe durch eine Heirat an den Mannheimer Hof zu binden. In ihrem Haus in Heidelberg erreichte Goethe aber der Bote Herzog Carl Augusts von Sachsen-Weimar-Eisenach. Goethe folgte der Einladung nach Weimar, wodurch sich die Heiratspläne zerschlugen.
Dorothea Delph, von Goethes Mutter in einem Brief an die Herzogin Anna Amalia als „die politica Delphin“ bezeichnet, war in geheime diplomatische Aktivitäten verwickelt. Sie stand mit der preußenfreundlichen Partei am Mannheimer Hof, die den Plan Kurfürst Carl Theodors, Bayern an Österreich abzutreten, verhindern wollte, in Verbindung. So fungierte sie als Mittelsfrau zwischen dem preußischen Hof und der preußenfreundlichen Partei in Mannheim. Zugleich gehörte sie zu den Vertrauten Herzog Carl Augusts. Goethe erwähnt sie mehrfach in Dichtung und Wahrheit.
An Goethes Aufbruch nach Weimar aus ihrem Haus erinnert eine Gedenktafel am Haus Hauptstraße 196 in Heidelberg (am Marktplatz). Allerdings ist diese Zuordnung fehlerhaft, da Dorothea Delph im Jahr 1775 dieses Haus noch nicht bewohnte. https://de.wikipedia.org/wiki/Dorothea_Delph
- Hans Christoph Schöll: Die „politica Delphin“, in: Goethe und Heidelberg, herausgegeben von der Direktion des Kurpfälzischen Museums, Heidelberg 1949 S. 68 - 81
Als Goethes Lebensbericht erschien, dem er den den Untertitel gab „Dichtung und Wahrheit“, war Dorothea Delph schon Jahre tot; am 20 Oktober 1808 war sie gestorben, "alt ohngefähr achtzig Jahr". Noch über diesem Eintrag im Totenregister von St. Peter zu Heidelberg liegt ein merkwürdiger Schleier von letzter Ungeklärtheit, und noch immer gilt das Wort von Reinhold Steig, der von der Delph sagte, dass „ihr Leben, ihre Persönlichkeit und ihr Einfluß auf Goethe sich bis heute in ein gewisses Halbdunkel hüllt“.
„Die alte treue Freundin“ nennt Goethe sie. Sucht man bei ihm nach unmittelbaren Zeugnissen diesere Freundschaft, der so betont die Treue bescheinigt wird, so begegnet einem nicht viel. An zwei Stellen seiner Lebensbeschreibung erwähnt Goethe ihr handelndes Eingreifen in seinen Lebensweg: eine übereilte Verlobung, die nach kurzer Zeit wieder gelöst wurde, war das Ergebnis in einem Fall, im andern wollte sie ihn verloben und zugleich an den Mannheimer Hof bringen; beides wurde vereitelt dadurch, dass Goethe unmittelbar aus dem Delphschen Haus in Heidelberg, nach Weimar geholt wurde, wie man dies im einzelnen im letzten Buch von „Dichtung und Wahrheit“ nachlesen kann. Dann erfahren wir nichts mehr von der Demoiselle Delph außer einem Zusammentreffen Goethees bei ihr mit seinem Schwager Schlosser im August 1795 und der kurzen Erwähnung im Reisetagebuch vom August 1797 mit dem abendlichen Gang nach der Ebene.
Das scheint etwas wenig dafür, dass Goethe ihr als „der alten treuen Freundin“ noch nach dem Tode Dank und Anerkennung zollt; anderes Ungeklärtes, von dem noch zu sprechen sein wird, kommt hinzu, und so ist man geneigt zu fragen, ob nicht über das wenige von Goethes Berichten hinaus noch irgend ein Unausgesprochenes in den Beziehungen der beiden gewesen sein möchte, was Goethe veranlaßte. Der Freundin die verläßliche Treue nachzurühmen. Die im folgenden vorgelegten Überlegungen zu dieser Frage wollen nur als vorläufige Hinweise aufgenommen werden; eine eingehendere Behandlung mag einer umfassenderen Darstellung vorbehalten bleiben.
*
Was sich an Nachrichten aller Art über der „Handelsjungfer“ Helene Dorothea Delph äußere Lebensumstände und ihre Wesensart ermitteln ließ, haben Walter Donat und besonders sorgfältig Maximilian Huffschmid vor Jahrzehnten zusammengetragen und im „Neuen Archiv für die Geschichte der Stadt Heidelberg“ (X, 130-136; XI, 145-296) veröffentlicht. Auch an anderen Orten wurde ihrer verschiedentlich gedacht; im vorliegenden Buch gibt Werner Schindler ein lebendiges Bild ihrer Person und ihrer Umwelt. Goethe selbst sagt von der Demoiselle Delph: “Man konnte sie nicht intrigant nennen;...sie pflegte ihre Absichten stille mit sich fortzutragen; dann aber hatte sie die Gabe, die Gelegenheit zu ersehen...und wußte eine solche Kraft der Charaktertüchtigkeit einzusetzen, dass es ihr nicht leicht mißlang, ihr Vorhaben auszuführen“.
Wenn dieses Bild auch durch die genannten Veröffentlichungen ergänzt wird, so scheint mir doch bei allen ein wesentlicher Hinweis nicht genügend beachtet, der sich in einem Brief der Frau Rat Goethe vom 14. September 1781 findet, wo sie von „der politica Delphin“ spricht. Nach der auslegung zeitgenössischer Wörterbücher bezeichnet das Wort Politicus „einen staats- oder weltklugen Mann, der Umgang mit Staatshändeln und derlei Angelegenheiten hat“. Wenn also Goethes Mutter die Delphin eine Politica nennt, so meint sie nicht einfach eine pfiffige und schlaue Frau, sondern sie meint eine, die „Umgang mit Staatshändeln und derlei Angelegenheiten“ hat.
Schon vor fünfzig Jahren hat Bernhard Erdmannsdörffer in den „Neuen Heidelberger Jahrbüchern“ (1896) auf eine merkwürdige Rolle der Dorothea Delph in politicis hingewiesen, deren Hintergrund hier kurz skizziert sei.
Als mit dem Tode des Kurfürsten Max Joseph von Bayern am 30 Dezember 1777 Bayern an den Kurfürsten kar Theodor von der Pfalz fiel, war dieser auf Grund früherer geheimer Abmachungen mit dem haus Habsburg bereit, Niederbayern und einen Teil der Oberpfalz an Österreich abzutreten. Mit dem Bekanntwerden dieser Absicht setzte nicht nur in Bayern, sondernauch in der Pfalz, bis hineien in die nächste Umgebung des Kurfürsten, eine scharfe Agitation dagegen ein, vornehmlich gefördert durch geheime Verhandlungen mit Preußen; war doch Friedrich II. entschlossen, sich dieser Machtvergrößerung Österreichs mit allen Mitteln zu wiedersetzen, was er mit seinem Einmarsch in Böhmen und dem dadurch ausgelösten Bayerischen Erbfolgekrieg dann auch bewies. Viel zu schaffen machte der östgerreichischen Politik und ihren Sachwaltern am Mannheimer Hofe vor allem „die boshafte Verbreitung bedenklicher und anzüglicher Druckschriften“ in der Pfalz, ohne dass man dahinterkam, von wo aus und auf welchen Wegen diese Druckschriften verbreitet wurden.
In diesem unter- und hintergründigen politischen Kampf begegnet uns in einem merkwürdigen Zusammenhang Goethes Freundin. Am 15. August 1778 schreibt der kaiserliche Gesandte am pfälzischen Hof in Mannheim, Graf Lehrbach, an den österreichischen Kanzler Fürst Kaunitz in Wien:“ Ihro churfürstliche Durchlaucht zu Pfalz haben in sichere Erfahrung gebracht, dass verschiedene sehr wichtige Briefe, welche aus den königl. Preußischen Landen in die dahiesige Gegend abgeschickt werden, unter der Adresse „Madame Delf, Marchande renomiée à Heidelberg“ gehen und größtenteils den Lauf über Duderstadt nehmen. Der Herr Churfürst haben mir von dieser Entdeckung in dem engsten Vertrauen die Eröffnung gemacht, und zugleich den Wunsch geäußert, ob nicht auf einem der kayserl. Postämter zu Duderstadt oder Frankfurth oder auch sonstgen dieser Correspondenz näher nachgespührt werden könne. Der Herr Churfürst, welcher aus der Entdeckung dieser Correspondenz einen großen Teil ihrer Berzuhigung erwarten, ergeben mir aber nicht weniger zu erkennen, dass von dem Weg, welchen der Allerhöchste Hof zu diesem Behufe einschlagen wird, Niemand sonst etwas bekannt werden möge, indem sie ganz allein von demjenigen, was dießfalls in Erfahrung gebracht werden dürfte, durch mich unterrichtet zu werden wünschte“.
Am 11. September berichtete Lehrbach weiter nach Wien, dass eine „Madame Delft, marchande très renommèe“, tatsächlich in Heidelberg ansässig sei und dass diese auch viele Briefe aus Preußen bekomme. „Ich habe weiters in Erfahrung gebracht, dass die vorgedachte kaufmännin der protestantischen Religion beipflichtet, den Ruf einer intriguanten und eigennützigen Frau hat, sich mehrmals in der Woche dahier in Mannheim einfindet, und die Briefe, welche an sie eingeschlossen werden, selbsten der Behörde überliefert, unter diesen Briefen aber verschiedene sind, bei welchen die Aufschrift an den Churpfälzischen Conferenzminister Freiherrn von Hompesch gerichtet ist, andere aber, wo die Aufschrift ganz ermangelt.Ihro churfürstliche Durchlaucht zu Pfalz sollen von allen diesen Umständen unterrichtet sein, es fällt mir auch nicht schwer, die Unruhe und das Mißtrauen zu bemerken, welches der Herr Churfürst fühlet, dass der Freiherr von Hompesch nebst anderen Unbekannten eine Correspondenz in die preußischen Lande unterhalten, wovon jedoch der Gegenstand für ihn, den Churfürsten, ein Geheimniß ist. Man nimmt auch noch weiters dahier wahr, dass sonsten noch der preußische Einfluß unter den dahiesigen Einwohnern sehr stark ist, obwohl man nicht gut auf den Grund zu kommen vermag.“
Im Gegensatz zu Erdmannsdörfers Meinung, dass „die Rolle, welche die Delph in diesen hochpolitischen Angelegenheitn spielte, natürlich nur eine subalterne“ sei und sie einzig ihren Namen als Deckadresse zur Verfügung gestellt habe, scheint es mir ausgeschlossen, dass man deerartig wichtige und gefährliche Briefschaften jemanden sollte anvertraut haben, der nur einfache Briefträgerdienste zu leisten hatte. Wenn Briefe ohne Anschrift darunter sind, so heißt dies doch, dass unter allen Umständen Geheimnis bleiben muß, für wen diese Briefe bestimmt sind; dies für den Fall, dass sie abgefangen werden oder sonstwie in unrechte Hände kommen sollten. Daß aber andererseits die Mittelsperson – hier also die Delph – aus dem Inhalt dieser wichtigen Briefe erkennen muß, wem das Schreiben gilt, das zeigt, dass diese Geschäfte nicht nur „hart ans Politische streifen“ (Donat), sondern dass Dorothea Delph, die damals eine Frau von fünfzig Jahren war, zum eigentlichen Kreis der Eingeweihten gehört haben muß.
Dieser Blick in die Geheimberichte des österreichischen Gesandten am Mannheimer Hof rückt jenen Plan der Delph, von dem Goethe im zwanzigsten Buch von „Dichtung und Warheit“ schreibt, nämlich ihn an den Mannheimer Hof zu bringen, in ein neues Licht. „Die Absicht eines gewissen Kreises, sich durch mich und meine mögliche Gunst bei Hofe zu verstärken“, von der Goethe dort spricht, liegt nun klar zu Tage; nur war diese Absicht entgegen der späteren Erklärung Goethes nicht darin begründet, dass der Hof katholisch und das Land protestantisch war – was in dieser Einfachen Formulierung ja nicht zutrifft -, sondern die Veranlassung waren jene geplanten Gebietsveränderungen Karl Theodors, durch die das politische Übergewicht in dem zähen Rinbgen zwischen Österreich und dem aufsteigenden Preußen sich entscheidend auf die österreichische Seite gelegt hätte. Die Delph als alte Freundin des väterlichen Hauses Goethe wußte, dass man dort „fritzisch gesinnt“ war, und da Goethe damals ohnedies damit umging, als Resident an einen Hof zu gehen, lag der Gedanke nahe, ihn nach Mannheim zu bringen.
Schon Erdmansdörffer war aufgefallen, dass in Goethes Schilderung dieser ganzen Angelegenheit gewisse Unklarheiten und Unstimmigkeiten liegen, wobei er offen ließ, „ob der Dichter hierbei manche Antecedentien vergessen oder sie im Interesse der künstlerischen Erzählungstechnik mit Bewußtsein bei Seite gelassen hat“. Es ist anzunehmen, dass der Vorschlag und die Aussprache über diesen Plan bei der Delph in Heidelberg nicht so improvisiert waren, wie es nach Goethes nachträglichem Bericht scheinen möchte, sondern, dass entsprechende mündliche oder schriftliche Auseinandersetzungen darüber schon vorausgegangen waren; Briefe Goethes, die in den Wochen vorher schon von Frankfurt an die Delph nach Heidelberg gegangen waren – am 31. Juli, 7. august, 7. Oktober und am 12. Oktober -, lassen wenigstens diesen Schluß zu. Noch aufschlußreicher scheinen die paar Blätter des Reisetagebuchs, das Goethe für die geplante Italienreise angelegt hatte; sie kamen mit ihrer Schilderung allerdings nicht über den ersten Tag hinaus und schließen mit der Ankunft in Weinheim am Abend dieses 30. Oktober 1775. Weimar ist gewissermaßen abgebucht, die Reise nach dem Süden ist beschlossen und angetreten, „und zwar zuerst nach Heidelberg“ – und der erste Abschnitt des Tagebuches schließt, am Vorabend vor Heidelberg, ab mit den Worten: “Projekte, Pläne und Aussichten!“ Und noch bedeutungsvoller: „Ich packte für Norden, und ziehe nach Süden – ich sagte zu, und komme nicht – ich sagte ab, und komme!“ Diese nundurch sein Kommen zurückgenommene Absage kann sich doch nach allem, was wir wissen und folgern können, nur auf vorausgegangene Verhandlungen mit der Delph beziehen. Bleibt hier überhaupt eine andere Deutung möglich, als dass Goethe eine ursprüngliche Zusage auf den ihm von der Delph vorgeschlagenen Mannheimer Plan in seinem letzten Brief vom 12. Oktober wieder zurückgenommen hatte, sich nun aber doch noch entschloß zu kommen? An jenem 12. Oktober aber, an dem er den Absagebrief nach Heidelberg schrieb, hatte in Frankfurt die entscheidende Besprechung mit dem weimarischen Herzogspaar stattgefunden, die mit der einladung nach Weimar und Goethjes Zusage endigte. Die merkwürdige Verwirrung durch den ausbleibenden Reisewagen hatte dann alles wieder umgeworfen und aufgehoben; an die Stelle von Weimar war nun doch wieder heidelberg und damit der Mannheimer Plan getreten: „Ich sagte zu, und komme nicht – ich sagte ab, und komme!“
Als merkwürdige Fügung mag es erscheinen, dass mit dem dann doch fehlgeschlagenen Mannheimer Plan Goethe schon am Anfang seiner Laufbahn einem politischen Problem gegenüberstand, das ihn dann jahrelang beschäftigte: der Frage nach der Sicherung der kleinen und mittleren deutschen Staaten vor dem Machtwillen der Großen. Der Plan jenes „gewissen Kreises“, Goethe 1775 in die antiösterreichische Front am Mannheimer Hof zu bringen, war mit seiner in Heidelberg gefallenen entgültigen Entscheidung für Weimar erledigt, die die Delph daher auch so nachdrücklich zu erhindern suchte, dass es zu jener „heftigen Szene“ kam; aber nicht erledigt war für ihn das, um was es jenen Leuten in Mannheim in dem Kampf gegen die Pläne Karl Theodors ging und was dann in Weimar 1778 Gestalt fand in Goethes Plan einer Union der deutschen Fürsten, den Karl Friedrich von Baden 1782 erneut aufgriff, den Karl August dann mit aller Energie verfolgte und der schließlich zum Fürstenbund Friedrichs II. von 1785 führte.
Treischke sagt von Karl August von Weimar: „Kühne, großartige Reformpläne gärten in dem Kopfef dieses hochherzigen Patrioten; unermüdlich bereiste er die Höffe als der Kurier des Fürstenbundes.Er sah in diesem Verteidigungsbündnis eine dauernde Institution, den festen Kern einer neuen Reichsverfassung, dachte dem Bunde ein stehendes Heer und in Mainz einen großen Waffenplatz zu schaffen; ein Bundestag, nach Mainz berufen, sollte das Werk der Reichsreform in Angriff nehmen, den Unwarheiten des bestehenden Rechts herzhaft zu Leibe gehen.“ Wenn Treitschke dann allerdings fortfährt:“ Alle Kleinstaaten Europas fühlten sich bedroht und hofften auf Preußen als den Schirmer des Gleichgewichts“, so ist dies doch zu sehr vereinfacht im Sinne jenes preußischdeutschen Geschichtsbildes, wie es seit über hundert Jahren in unseren Schulen und vaterländischen Verienen dargeboten wird. In Wirklichkeit war es so, Daß die deutschen Kleinstaaten es sich nach langem Wehren schließlich gefallen lassen mußten, unter die Fittiche des preußischen Adlers genommen zu werden. Wenn man Ottokar Lorenz darin zustimmt, dass man es in dem Gutachten Goethes aus dem Winter 1778/79 zur Frage der preußischen Anwerbungen in Weimar mit „nichts Geringerem als mit der eigentlichen Ursprungsidee des Fürstenbundes“ zu tun hat, so ist dabei entscheidend, dass die in jenem Gutachten vorgeschlagene Vereinigung der deutschen Fürsten ihren Mitgleidern ermöglichen sollte, „solchen Zumutungen sich standhaft widersetzen zu können“, wie sie hier von Preußen an Weimar gestellt waren. Suchten jene Mannheimer Pläne nur Schutz gegen die Vergewaltigung durch das Haus Habsburg, und waren Friedrichs Pläne einzig auf die Durchsetzung Preußens als europäische Großmacht gerichtet, so ging es in der Fürstenbundsidee, wie Goethe seinem Herrn vortrug und wie sie von diesem dann im Zusammenwirken mit anderen Gleichgesinnten vertreten wurde, um die Freiheit nach allen Seiten; dem hausmachtgierigen Kaiser gegenüber nicht weniger als Frankreich und Preußen gegenüder. Die unmittelbare Bedrohung aber lag für die mitteldeutschen Staaten in dem preußischen Machtwillen und Führungsanspruch. Silpitz Boisserée hat uns eine Äußerung Goethes vom Oktober 1815 überliefert über „eine Art Verschwörung“, der er angehört habe, „damals als man die Übermacht Friedrichs des Großen fürchtete. Es bestand eine geheime Verbindung bei dem alten Fürsten von Dessau; der Kronprinz von Preußen war auch darin. Nachher wurde dieselbe Veranlassung zum Fürstenbund, obwohl es Anfangs gegen Preußen ging.“ Und der weimarische Kanzler Friedrich v. Müller notierte am 27. Oktobedr 1824 als entscheidenden Inhalt eines Gesprächs, das Goethe mit ihm geführt hatte:“ Aufdeckung der geheimen Tendenz des deutschen Fürstenbundes, nämlich gegen Friedrich II. Anmaßungen“.
Noch zu Beginn des Jahres 1784 wußte Friedrich nichts von den Bundesplänen, die von den beteiligten Fürsten schon mehrere Jahre im allerstrengsten Geheimnis verfolgt wurden; besonders nachdrücklich von Karl August von Weimar und dem Markgrafen Karl Friedrich von Baden. Von dem badischen Markgrafen, der ein begeisterter Verehrer der Person des großen Friedrich war, haben wir die eigenhändig niedergeschriebenen politischen Leitsätze: „Die Ausdrücke gut österreichisch und nicht gut österreichisch, gut preußisch und nicht gut preußisch schicken sich vor einen patriotisch denkenden Reichsstand nicht. Gut deutsch, gut vors Vaterland gesinnet sein, alle Tyranney, sie komme von wem sie wolle, hassen und verabscheuen, zu Aufrechterhaltung der deutschen Freiheit alle standhaften Mittel mit ergreifen und durchsetzen helfen, es koste was es wolle; sein Land als einen Staat ansehen, dessen Wohlfahrt und Ansehen auf alles nur mögliche, jedoch gesetzmässige Art zu erhalten und zu befürchten ist: das ist das Glaubensbekenntnis eines deutschen Reichsfürsten, welcher den Kaiser und sein Amt und Würde verehret und hochschätzet...und dabei erkennet, was er sich selbst, seinem Haus und seinen Unterthanen schuldig ist“. Und Karl Friedrichs Minister von Edelsheim, der von Anfang an als treibende Kraft in den Unionsbestrebungen der deutschen Fürsten wirkte, schrieb nach der Einverleibung von Ansbach-Bayreuth in den preußischen Staat an Karl august von Weimar: „Durch den Ansbachischen Anfall wird die Freuheit Deutschlands ohnglaublich geschwächt...Jedem deutschen Herzen und besonders einem freien Fürstensinn muß es wehe tun, die Sklaverei mit so starken schritten auf das Vaterland stürmen zu sehen“. Goethes Schwager Schlosser, der im Dienste Karl Friedrichs stand, der auch zu den Eingeweihten gehörte und der 1785 mit der wichtigen politischen Mission betraut wurde, in privaten geheimen Unterhandlungen die Stellung Frankreichs zu den Plänen einer deutschen Fürstenereinigung zu erkunden, zog sich von der Mitarbeit zurück, als der Preußenkönig 1785 die Führung übernahm, da die preußische Großmachtpolitik nach seiner Auffassung nicht von dem Geiste „echter Politik“ durchdrungen war.
Es ist verständlich, dass die vorbereitenden Arbeiten zu einem Fürstenbund der Art, wie sie in jenem Goetheschen Plan von 1778 umschrieben ist, strengstes Geheimnis und allerletzte Verschwiegenheit forderten. Was Karl August zum Beispiel in den Kämpfen um die Mainzer Coadjutorwahl unternommen hat, „liest sich in den Dokumenten stellenweise wie ein Abenteurerroman, mit geheimen Reisen im strengsten Inkognito, Bestechungen der Mainzer Domherren und wochenlangem verborgenen Aufenthalt in den abgelegenen Räumen des Berliner Stadtschlosses“ (Buchwald). So bewegt und treibend zugleich Goethe in den Angelegenheiten des Fürstenbundes stand, so verschlossen war er über dies alles nach außen; und dies nicht nur während der Geschehnisse selbst, sondern auch in all den späteren Jahren. Zu diesem Verschweigen und Überdecken politischer Wirksamkeit und Beeinflussung gehört auch die sichtlich retuschierte Schilderung, die Goethe von jenen Plänen der Delph und der Auseinandersetzung mit ihr gibt. Aber wenn Sulpiz Bisserée in der Wiedergabe von Goethes Äußerung Ausdrücke wie „Verschwörung“ gebraucht, wo von seiner Tätigkeit in Sachen des Fürstenbundes die Rede ist, so kennzeichnet dies eindeutig die Situation. Er selbst stellt sich in allem unter das Wort, das er aus Italien an seinen Herzog nach Weimar schrieb: “Verbrennen Sie doch meine Briefe gleich, dass sie von niemandem gelesen werden!“ ; es dürfte einleuchten, dass es hier um Briefe geht, in denen nicht von Kunst und Wissenschaft die Rede war. Um was er seinen Herrn so dringend bat, das hielt er selbst mit den Briefen Karl Augusts ebenso: bis zum Ende des Jahres 1792 sind sie fast durchweg vernichtet.
Die angeführte Stelle stammt aus einem Schreiben an Karl August aus Rom vom 17. November 1787. Wenige Wochen später schrieb Karl August aus Mainz an seine Mutter, er habe „Goethen durch einen Kurier, der nach Rom ging, einen Brief von zwölf Seiten geschrieben“. Am 30. März 1787 aber hatte Lehrbach aus Mannheim an Kaunitz nach wien berichtet: „Ungeachtet der äußerlichen Stille und des feierlichen Widerspruchs des Herrn Churfürsten von Mainz bezeigen doch alle Umstände, daß das unverrückte Augenmerk des Berliner Hofes an noch auf die Berwerkstelligung der Mainzerischen Coadjutorie gerichtet sei, und dass der Herrr Curfürst von Mainz in der Geheime dieses Geschäft leite, oder vielmehr durch Leute, die sein Vertrauen mißbrauchen, sich zu allem hinreißen lassen, was zu Beförderung desselben beitragen mag; der Doctor Goethe, welcher durch verschiedene Werke in der deutschen Literatur bekannt geworden ist, und sich bisher meistens bei dem Herrn Herzog von Weimar aufgehalten hat, solle vom König von Preußen den Auftrag erhalten haben, hiervon die Behandlung beim päpstlichen Hofe zu besorgen“
Neues Licht fällt damit auch auf die geheimnisvollen Umstände bei der plötzlichen Abreise aus Karlsbad im September 1786. Der Herausgeber der „Politischen Korrespondenz“ schrieb im Sommer 1786 im Blick auf Friedrich II.: „Die Welt hält gleichsam den Atem an und wartet, fast mehr von verheißungsvoller Hoffnung als von banger Sorge bewegt, auf den Augenblick, in dem berühmte Helden des Zeitalters die Bühne des Lebens und Schaffens verläßt. Dann soll es auf der Grundlage des Fürstenbundes erst richtig an die Arbeit gehen!“ Nun war der Augenblick da. Am 17. August 1786 starb Friedrich, am 23. August kam die Nachricht nach Karlsbad; unmittelbar darauf reiste Karl August von dort ab, um sich in Berlin beim neuen König zu melden, dem alten Vertrauten aus den Jahren der verschweigenen Arbeit für den Fürstenbund – und am 03. September reist Goethe ab mit unbekanntem Ziel. Nach elf Wochen kommt sein erster Brief – „Rom, den 1. November 1786“ – mit dem dringenden Ersuchen, vorerst den Ort seines Aufenthaltes niemanden zu entdecken und nichts unter seinem Namen, sondern mit der Anschrift Tischbeins an ihn zu schicken.
Wie streng die Geheimhaltung bis in den engsten Kreis der Eingeweihten durchgeführt wurde, zeigt das Vermeiden von Namensnennungen in den Briefen, und zwar bei Personen wie bei Orten. Als im September 1785 Fürst Franz von Dessau eine geheime Unterredung mit dem Markgrafen Karl Friedrich von Baden in Heidelberg (!) vorschlägt, schreibt er diesem: “Hätten Sie eine wichtige Abhaltung, so schicken Sie mir doch jemand an den bestimmten Ort, dem ich alles sagen darf.“ Oder man liest in einem Schreiben des badischen Ministers Edelsheim an Karl August von Weimar: „Patronus ille hat kein Geld aus Lacedaemon erhalten“; das soll bedeuten, dass der Herzog von Zweibrücken kein Geld vom Berliner Hof bekommen hat. Wenn auch vieles in geheimen Chiffern geschrieben werden kann, die der Sicherheit wegen ab und zu gewechselt werden, so geht es doch, wie der Dessauer an Karl August schreibt, „am besten vom Mund zu Ohr“. Am 16. Dezember 1786 schickt Karl Friedrich von Baden ein eigenhändiges Schreiben an Karl August von Weimar mit der dringenden Einladung, ihn in Karlsruhe zu besuchen; dieser Brief sowie Karl Augusts zusagende Antwort hatten nur den Zweck, die Gegenspionage auf eine falsche Fährte zu bringen, da der Herzog von Weimar in Wirklichkeit zu einem Besuch des Kurfürsten von Mainz aufbrach. Und schließlich noch ein für unseren engeren Zusammenhang bedeutsames Beispiel: als Goethe am 23. September 1779 auf der zweiten Schweizer Reise zwischen einem Tag in Darmstadt und einem in Speyer rasch nach Heidelberg fährt oder reitet – doch wohl auch, um mit karl August zusammen die Delph aufzusuchen -, da gelingt es ihm, dies so geheimzuhalten, 2 dass in allen Veröffentlichungen bis zu Kuno Fischer und Erdmannsdörffer ausdrücklich festgestellt wird, dass Goethe „auf dieser Reise Heidelberg nicht berührt“ hat – vis Max v. Waldberg 1899 entdeckt, dass Goethes Zeichnung vom Gesprengten Turm im Weimarer Museum auf der Rückseite seinen eigenhändigen Vermerk trägt „Heidelberg den 23. September 78 G.“ Am gleichen 23. September 1779 aber gibt er einen Brief auf, dessen Abgang er in seiner Postportoliste vermerkt, ohne indes den Ort zu nennen, an dem der Brief aufgegeben wurde, noch dabei einzutragen, an wen der Brief gerichtet ist; wir erinnern uns der Briefe ohne Anschrift, die eingeschlossen an die Delph kamen.
Daß Dorothea Delph nicht nur in jene Verbindungen vom pfälzischen Hof zum preußischen König eingeschaltet war, von denen die Berichte des Grafen Lehrbah an den Kanzler Kaunitz melden, sondern dass sie auch noch zu den Vertrauten in dem Kreis um Karl August gehörte, das zeigt der eingangs erwähnte Brief der Frau Rat vom 14. September 1781, denn er ist an niemand Geringeren gerichtet als an die Mutter Karl Augsusts, die Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar. Frau Aja berichtet darin in Ausdrücken herzlicher Vertrautheit von allen möglichen sich überstürzenden öffentlichen und häuslichen Ereignissen – „dieser Brief ist ein wahres Quotlibet, daran ist die verdammte Messe schuld“ - , und dieses ganze „Gewirre und Geschwirre“ des wilden Messetrubels hinein „Kommt nun gar noch die politica Delphin und glaubt gantz gewiß Herrn Goethe hir zu finden“. Der Brief zeigt deutlich, dass „die Delphin“ für die Herzoginmutter von Weimar nicht nur eine gute Bekannte ist, sondern dass sie ihr auch bekannt ist als „die Politica“ , als jemand, der „Umgang mit Staatshändeln und derlei Angelegenheiten hat“. Eine Frau, die mitten drin in diesem geheimen und geheimsten politischen Briefverkehr und Gesprächsaustausch steht, ist keine subalterne Briefträgerin zwischen Mannheim und Heidelberg; und wer dieses Geheimnis wahrt bis zum Tod, der hat sich das Zeugnis der Treue verdient.
Wie verschwiegen „die alte treue Freundin“ in all diesen Dingen war und bleib, zeigt sich darin, dass man in Heidelberg bis zum Tod der Handelsjungfer Delph nur wußte, dass sie „mit der halben Welt korrespondierte“; wenigstens schrieb dies Achim von Arnim an die Bettina. Er wollte Goethes Freundin aufsuchen, nachdem er nach seiner Ankunft in Heidelberg im Herbst 1808 von ihr hatte erzählt bekommen – „eine weibliche Merkwürdigkeit, eine Correspondentin von Goethe aus alter Zeit“ – doch er konnte nur noch erfahren, dass sie wenige Tage vorher gestorben war. Die Heidelberger wußten ihm noch von der Sache mit der seinerzeit geplanten Verlobung Goethes mit dem Fräulein von Wrede zu erzählen; sie wußten auch, dass „die Delph nie die Geliebte von Goethe gewesen“. Von ihrer geheimen politischen Tätigkeit wußten sie sowenig wie ihr Großneffe Henking, der in seinen „Lebensbildern“ aus eigener Erinnerung und aus Familienüberlieferung allerhand über Dorothea Delph zu berichten wußte, aber von diesen Dingen anscheinen nie etwas gehört hatte.
In einem ihrer letzten Briefe – sie starb fünf Wochen vor der Delph – trug die Frau Rat ihrem Enkel, Goethes in Heidelberg studierendem Sohn August, Grüße an „die Delph“ auf und erkundigte sich, was diese bei ihm bei seinem letzten Besuch erzählt habe. Goethe selbst hatte ihr kurz vor ihrem Tode ebenfalls noch einen Brief durch seinen Sohn übermitteln lassen, wie wir auch aus Arnmims Schreiben erfahren. Von ihrer Briefsammlung, um die Arnim sich bemühte, ist nichts erhalten – vielleicht hat sie sie vernichtet - , und „alles, was sie von Goethe und den Seinigen aus der Erfahrung ihres tätigen Lebens wußte, hat sie unbefragt mit sich ins Grab genommen“ (Steig).
H a n s C h r i s t o p h S c h ö l l
https://de.wikipedia.org/wiki/Catharina_Elisabeth_Goethe
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_von_Müller_(Politiker)
https://de.wikipedia.org/wiki/Achim_von_Arnim
https://de.wikipedia.org/wiki/Bettina_von_Arnim
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_August_(Sachsen-Weimar-Eisenach)
https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Amalia_von_Braunschweig-Wolfenbüttel
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_II._(Preußen)
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Friedrich_(Baden)
https://de.wikipedia.org/wiki/Fürstenbund_(1785)
https://de.wikipedia.org/wiki/Sulpiz_Boisserée
https://de.wikipedia.org/wiki/Wenzel_Anton_von_Kaunitz-Rietberg
https://de.wikipedia.org/wiki/Damian_Hugo_Philipp_von_Lehrbach
https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_III._Friedrich_Franz_(Anhalt-Dessau)
https://de.wikipedia.org/wiki/Dorothea_Delph
Ilona Scheidle: Die Handelsjungfer. In: Ilona Scheidle: Heidelbergerinnen, die Geschichte schrieben. München 2006.
Dorothea Delph ist als Goethefreundin in die Heidelberger Geschichte eingegangen. Doch sie war viel mehr als das: Sie war Geschäftsfrau und nahm am politischen und gelehrten Leben ihrer Zeit teil. Ihr Haus, das sie in der Heidelberger Hauptstraße bewohnte, ist schmal. Fast übersieht man es, wie es zwischen den stattlichen Häuserfronten an der pulsierenden hauptader der Stadt eingereiht ist, wäre da nicht am Gebäude eine Erinnerungstafel angebracht:“ Von hier, aus dem haus seiner mütterlichen Freundin Dorothea Delph reiste Goethe der Einladung von Karl August folgend am 04. November 1776 nach Weimar.“
Für den Dichter waren es Schicksalstage, die er bei ihr verbracht hatte, denn hier entschied er sich für die Politik. Seine Tätigkeit als Staatsmann im diplomatischen Dienst des Weimarer Hofes ist hinreichend bekannt. Das Wirken von Delph hingegen ist gekennzeichnet von einer gewissen Unschärfe und Unsichtbarkeit. Doch gerade das weckt die Neugier und lässt manches mehr erkennen.
„Handelsjunfer Delphin“
Von ihrer Herkunft ist wenig bekannt. Schließlich vermerkte schon das Totenregister von St. Peter, dass sie etwa 80 Jahre alt war, als sie am 20. Oktober 1808 in Heidelberg am sogenannten „Schlagfuss“ verstarb. Demnach war sie um 1728 geboren. Von ihren Eltern ist bekannt, dass sie zu den Reformierten zählten und aus dem Rheinischen und dem Rhein-Hessischen stammten. Ihr Vater, der „Handelsmann“ Georg Wilhelm Delph, war mit Frau und Kindern nach Heidelberg gekommen. Im Jahr 1748 stellte er eine Bittschrift an den Heidelberger Rat, damit man ihn und seine Familie bürgerlich aufnehme. Dem Gesuch fügte der Vater seinen Geburts- und seinen Lehrbrief bei und ebenso tausend Gulden in bar. Damit erfüllte er die notwendigen Formalitäten, damit er und die Familie – seine Frau Anna Gertrudis, Dorothea und deren ältere Schwester Sibylle elisabeth sowie sein Sohn Bernhard Thielmann – das Bürgerrecht erhalten konnte. Mit diesem verbrieften Recht war es ihnen möglich, „eine Krämerei und Handelschaft“, ein Handelsgeschäft, zu begründen. Das Geschäft war allerdings einigen Schwankungen ausgesetzt, wie aus Akten mit eingegangenen Klagen, fälligen Wechseln und einem Moratorium der kurfürstlichen Regierung hervorgeht, die von finanziellen engpässen und von Notlagen zeugen. Vom Bruder Bernhard Thielmann wird berichtet, dass er misraten gewesen sei. Denn er vermochte sich und seiner Familie mit zwei Töchtern keine gesicherte bürgerliche Existenz aufzubauen, sondern erbat von seiner Herkunftsfamilie „Reise- und Zehrungsgeld“. Später wanderte er nach Ostindien aus und verstarb dort. Die Details, wann das geschah und ob seine Schwester Dorothea noch in Kontakt mit ihm stand, sind allerdings offen.
Mit zweiunddreißig Jahren wurde die „Handelsjungfer Delphin“ selbst in Heidelberg aktenkundig. Nachdem die eltern kurz nacheinander verstorben waren, erhielten die Töchter 1760 die Erlaubnis zur Fortführung des Ladens. Sie waren beide über dreißig Jahre alt und unverheiratet. In der damaligen Begrifflichkeit wurde diese Lebensform als „lediger Stand“ und die Frauen als „Jungfern“ benannt. Dass Dorothea Delph und ihre Schwester zeitgenössisch als „Handelsjungfer“ bezeichnet wurden, verwies demnach sowohl auf ihre Profession als auch auf ihren Stand. Und damit treten die verschiedenen Dimensionen zu Tge, welche die Erlaubnis, den elterlichen Betrieb fortzuführen, beinhaltete: Den Frauen wurde das Recht der Führung und Leitung eines eigenen Ladens übertragen, auch in der Rechtsfolge. Infolgedessen war es den Handelsjungfern gestattet, ihren Laden ohne männlichen Vormund selbständig nach außen zu vertreten, Verträge abzuschließen, ihre Finanzen zu verwalten und eine Geschäftspolitik zu entwickeln.
Helene Dorothea war dabei die Aktivere, denn sie zählte zu jenen, „die immer ein Geschäft haben, andere beschäftigen und bald diese, bald jene Zwecke durchführen wollen“, wie sie Goethe in seinem Lebensrückblick Dichtung und Wahrheit beschrieb. Schließlich war dem Dichter bekannt, wie agil und strebsam die Freundin war: Delph reste zur nächstgelegenen internationalen Drehscheibe für handel und Politik, zur Frankfurter Messe, die jedes Jahr im September stattfand. Die Messe bot ihr nicht nur neue Ware, sondern auch Einblicke in eine andere Welt. Denn in der freien Reichsstadt Frankfurt herrschte ein anderes Recht als in iher kurpfälzischen Heimat. In der alten Messestadt knüpfte sie geschäftliche Kontakte zu namhaften Handelsfamilien. Und nicht selten entwickelten sich aus ihren Handelsgeschäften auch freundschaftliche Verbindungen zu den Familien der besten Gesellschaft. Mittelbar lässt sich eine rege Korrespondenz der Delphin „mit der halben Welt“ nachweisen, wie es Achim von Arnim nach ihrem Tod festhielt.
Um ihren Handel voranzubringen, scheuten die Schwestern nicht davor zurück, neue Wege zu beschreiten. Ihre Maßgabe war, das für sie Mögliche im Heidelberger Geschäftsleben umzusetzen und ihre Existenz zu sichern. Ihre Geschäftigkeit wurde von der Konkurrenz genau beobachtet. 1709 beschwerte sich die Heidelberger Handelsinnung bei Kurfürst Carl-Theodor in Mannheim über die schwesterliche Geschäftsleitung. Die Innung beanstandete, dass die „Jungfern Delph mehrere Gewerbschaften“ führen würden und damit gegen die altbewährten Stadtprivilegien verstießen. So zumindest argumentierten die Innungshändler. Sie zogen die Stadtordnung von 1742 heran, die es den Bürgern ausdrücklich untersagte, verschiedene Gewerbebereiche in einem Handelsgeschäft zu mischen. Und in der Tat, die regen Schwestern hatten den väterlichen offenen Laden zu einem Handel mit feinen Stoffen ausgebaut und diesem Tuchhandel noch einen Tee- und Kaffeehandel angefügt. Genau das aber erregte den Ärger der Konkurrenz.
Die Entscheidung des Landesherrn in dieser Angelegenheit wurde nicht überliefert. Allerdings schien der Eklat dem Geschäft nicht geschadet zu haben, denn fünfzehn Jahre später existierte es noch immer. Ihr Tuchhandel firmierte mittlerweilen als Schnittwarengeschäft von Lyoner Seidenstoffen und wurde sogar in der „Kurzen Vorstellung der Industrie“ des pfälzischen Kurfürstentums genannt. 1780 listete ihr Betrieb in der vielbebachteten Rubrik für „Seiden- […] und Galanterie-Waren-Handlungen“. So waren die Schwestern offensichtlich auch weiterhin erfolgreich. Der Handel blühte derart, dass sie am 19. Februar 1782 ihr Handelshaus in der Hauptstraße kaufen konnten. Das „Kontraktenbuch“ verzeichnete für diesen Tag einen Vorgang für 1.800 Florin – den Hauskauf. Für diese durchaus gewagte Transaktion hatte ihnen der Kurfürstliche Geheimrat Fontanesi1 1000 Florin gelioehen.
„Sie wir für einen Hermaphroditen gehalten“
Um eine solch stattliche Summe leihen zu können, war mehr als ein sehr guter Leumund notwendig. Offensichtlich vermochte es die vierundfünfzigjährige Geschäftsfrau Delph, Vertrauen in ihre Person aufzubauen. Und diese Befähigung wurde an ihr allgemein hoch geschätzt, denn man empfahl sie sehr gerne als Beraterin in Finanz-, aber auch in Lebensfragen. Auch Goethe war von dieser Eigenschaft der Freundin fasziniert. Schließlich war sie ihm mehrmals Beistand in Krisensituationen gewesen, wodurch er ihr spezielles Verhalten genau kennen gelernt hatte. Wenn er festhielt: “Man konnte sie nicht intrigant nennen: sie pflegte den Verhältnissen lange zuzusehen“, wusste er, wovon er schrieb. Delph beobachtete und analysierte die Sachlage, stellte eigene Absichten hintenan und wartete in der Situation ab, bis „die Gesinnungen der [betroffenen] Personen zwischen Zweifel und Entschluß“ standen. An diesem Punkt griff sie ein, um dann „eine solche Kraft der Charaktertüchtigkeit einzusetzen“, dass sie das gewünschte Vorhaben leicht ausführen konnte.
Es ist naheliegend, dass die ledige Frau für ihren sozialen Aufstieg konventionelle Bahnen überschreiten musste. In ihrem Alltag durchbrach sie Vorgaben, die dadmals für eine sittliche Weiblichkeit galten.
Ihre Persönlichkeit überlieferte ihr Großneffe in einer einprägsamen Beschreibung posthum: „ Schwarzer Kaffee, feinster Marokko-Schnupftabak waren ihre Reizmittel. Sie verachtete alle Kleidermoden und ging in Spitzenhaube und Haartour mit einem vier Schuh langen, echten Rohr bewehrt spazieren.“
Besachreibungen ihrer Person betonen stereotyp das Männliche der Dorothea Delph und bescheinigen ihr ein Abweichen von ihrer weiblichen Rolle. Delphs Freund Goethe hielt von ihr fest: „Es [sie] war eine eigene Person, ernsten, männlichen Ansehens und gleichen, derben, hastigen Schrittes.“ Zeitgenössische Aussagen belegen, dass dorothea Delph für ein Zwitterwesen gehalten wurde, für ein Mischwesen aus Mann und Frau. Nach klassischem Denken wurde sie als „Hermaphrodit“ bezeichnet, wie von Arnim die Tratscherei über Dorothea Delph nach ihrem Tod überlieferte.
„Göthische Schildkröte“
Gesichert ist Dorothea Delphs Wirken als mütterliche Freundin und Beraterin Johann Wolfgang von Goethes. „Sie ist übrigens nie die Geliebte von Göthe gewesen“ informierte Achim von Arnim seine Bettina in München. Diese empfahl ihm dringend, die Delphin persönlich aufzusuchen und kennenzulernen. Doch zu diesem Zeitpunkt war die „Göthische Schildkröte“, wie die jugen Schriftsteller sie nannten, bereits verstorben gewesen. Die Briefe Goethes und andere schriftliche Zeugnisse existierten nicht mehr, denn die alte „weibliche Merkwürdigkeit“ Delph hatte ihren gesamten Nachlass mit in ihr Grab ggenommen. Geblieben waren allerdings Selbstzeugnisse ihres Freundes Goethe, der sie gut zwanzig Jahre nach ihrem Tod noch immer „die alte treue Freundin“ nannte. Eine solche Würdigung ist außergewöhnlich und es stellt sich die Frage, warum die erfolgreiche Geschäftsfrau für ihn eine so wichtige Person war. Sie war keine Literaturkritikerin oder einfühlsame Mäzenatin gewesen, die das junge Frankfurter Talent in die einschlägigen Kreise eingeführt hätte, ihre freundschaftliche Verdienste sind demnach anderswo zu suchen.
Als Freundion stellte sie dem Dichter während seiner Besuche in Heidelberg eine Unterkunft bereit und hatte dem zwanzig Jahre jüngeren Mann zwei aussichtsreiche Verlobungen arrangiert, Ihr Wunsch, eine Hochzeit zu stiften, erfüllte sich allerdings nicht, denn es war bei den ersten euphorischen Zuwendungen der jungen Leute geblieben und beide Verbindungen wurden nach kurzer Zeit wieder gelöst.
Goethe erzählte von Dorothea Delph in seinem Lebensrückblick an der entscheidenden Stelle. Er schildert sie als die zentrale Gestalt in seinem Schicksalsjahr 1775. Halten wir uns die Situation vor Augen: Der spätere Dichterfürst und geadelte Geheimrat befand sich damals in einer Krise, zwei Verlobungen waren aufgelöst worden, zudem schwankte er in seiner Lebensplanung zwischen den Bereichen von Kunst und Politik. Der Weimarer Hoif ließ ihn warten, bis schließlich eine Einladung erfolgt. In dramatischer Verdichtung schilderte Johann Wolfgang den Aufbruch vom Delphischen Haus und die damit verbundene Entscheidungsfindung für die Politik. Dorothea Delph beschreibt er dabei als die zentrale Akteurin an seiner Seite. Es scheint unplausibel, dass sich der Dichterfürst und Geheimrat in der Schlüsselsituation seiner Biografie eine Zimmerwirtin zur Seite stellte, gerade zu dem Zeitpunkt, als seine grandiose politische Laufbahn begann. Aus seiner Darstellung folgt daher, dass Dorothea Delph mit Goethes zentralen Themen zu tun hatte.
Soviel zu Goethes Schilderungen. Beachtenswert scheint auch das, was Goethe in seinem Rückblick nicht erwähnt, was er vergessen oder verschwiegen hatte, was sich aber dennoch aus dem Text und dessen historischen Zusammenhang erschließen lässt. In der Tat, die rege Handelsjungfer Delph war eine gestandene Frau Ende vierzig, die Kontakte bis in die nhöchsten Kreise pflegte. Und dies nicht nur im Wirtschaftszentrum Frankfurt. Sie hatte Kontakte zum Mannheimer Hof und pflegte in Heidelberg die Gesellschaft mit der Familie des Geheimrats Freiherr von Wrede2, mit dem Administrationsrat Harscher3 4, dem Kunstsammler und Bankier Fries, dem Geheimrat Mai5, dem Kirchenrat Mieg6, der Freifrau von Cathcart oder dem Schriftsteller Jung-Stilling7 - um nur einige zu nennen. Von ihrem Großneffen8 wurde überliefert, dass die Geschäftsfrau „wissenschaftlich beinahe gelehrt“ gewesen sei. Die Jungfer allein auf ein mütterliches Betreuen festzulegenwäre verkürzend. Goethe selbst schilderte ihr Engagement, ihn, den vielversprechenden Mann, im kurpfälzischen Raum zu behalten. Ihre Pläne gingen dahin, den jungen Mann in seinem vagen Reiseplan zu motivieren, derweil die Heirat mit „W.“ zu arrangieren und ihm bei seiner Rückkehr aus Italien eine Stelle am Mannheimer Hof zu präsentieren. Doch erklärt dies ihre zentrale Position am Schnittpunkt von Politik und Kunst?
„Politische Agentin“
1781 schrieb Goethes Mutter in einem Brief an Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar über die „politica Delphin“. Dabei berichtete sie selbstverständlich und vertraut von dem Besuch der Geschäftsfrau, die völlig unerwartet bbei ihr auf Stift Neuburg aufgetaucht sei, um „ganz gewiß Herrn Goethe hir [sic] zu finden“. Hätte Frau Rat Goethe von einem Politicus gesprochen, so wäre ihren Zeitgenossen klar gewesen, dass von einem staats- und weltklugen Mann die Rede war, der Umgang mit Staatshändeln und derlei Angelegenheiten hatte. So definierten die Wörterbücher einen Politicus. Sie schrieb allerdings von der weiblichen Form und brachte damit zum Ausdruck, dass die Delphin nicht nur eine kluge Frau war, sondern vielmehr eine, die mit der politischen Praxis vertraut war. Hatte die Delph zusätzlich zu ihrem Handelsgeschäft die poplitische Laufbahn eingeschlagen wie ihr junger Freund sechs Jahre zuvor?
Die Tatsache, dass der Brief von Frau Goethe9 an Anna Amalia10, die Mutter von Goethes Arbeitgeber Karl-August11, gerichtet war, ist ein wesentlicher Hinweis hierfür. Karl August war die zentrale Figur des späten 18. Jahrhunderts, wenn es um die Interessensstärkung der deutschen Mittelstaaten ging. Geheimrat Goethe hatte seit seiner Berufung nach Weimar die Aufgabe zu betreuen, einen Fürstenbund der kleinen und mittleren Staaten als eigenständige Gruppierung aufzubauen, um die Dominanz Österreichs im deutschen Staatenbund zu brechen. Dieser Plan war hochbrisant und stand unter absoluter Geheimhaltung, wie es Goethe noch nach Jahren seinem Freund Sulpiz von Boisserée12 anvertraute.
In dieser Sache war Markgraf Carl Friedrich von Baden13 ein politischer Verbündeter für Weimar.
Er schickte 1783 seinen Vertrauten in geheimer Mission nach Frankreich, um die französische Position mit Blick auf den Fürstenbund zu erkunden. Es war kein anderer als Goethes Schwager Geheimrat Schlosser14, der diese Mission durchführte. In dieser Phase war die Rolle Preußens noch die eines Mittelstaates; erst ab 1785 übernahm Preußen die Führung in der antiösterrreichischen Politik und dem Gemenge Fürstenbund, woraufhin sich der Markgraf von Baden aus diesen Bestrebungen zurückzog.
Der Herzogin Anna Amalia und der Rätin Goethe war die Delphin als Geschäftsfrau bekannt und auch als eine in Staatsgeschäften bewanderte Person. Hatte die „politica Delphin“ mit den geheimen Angelegenheiten des Projektes Fürstenbund zu tun?
Goethe schweigt dazu. Sein Werk gibt Auskunft über eine Begegnung zwischen ihm, dem Schwager Schlosser und der Delphin im August 1793, als der Diplomat auf der Rückreise von der Belagerung von Mainz15 war. Damals war die Delphjin damit beschäftigt gewesen, zwischen den Schwägern zu vermitteln, die sich wegen der Farbtheorie16 zerstritten hatten. Von einer in Staatsgeschäften agierenden Frau wurde nichts erzählt. Vier Jahre später lieferte Goethes Tagebuch der Schweizreise die unvergängliche Stadt- und Landschaftsbeschreibung Heidelbergs. Er schilderte den abendlichen Gang in die Ebene an der Seite von „Demoiselle Delph“ bis dahin, wo der Blick auf Rohrbach ging. Doch von einer „politica“ war keine Rede.
Aus Goethes Umfeld verdichten sich allerdings die Quewrverweise, dass die Bezeichnung Dorothea Delphs korrekt war; dass die Delphin tatsächlich als „politische Agentin“ im Geheimen tätig war.
Wer nun in der Geheimdiplomatie agierte, der blieb verdeckt. So wird es plausibel, dass Goethe der Delphin einerseits eine Zentrale Rolle in seinem Lebenswerk bescheinigte, sich aber andererseits über die eigentliche Rolle dieser Freundin ausschwieg. Denn auch er war seit seiner Berufung in diese Bereiche der Geheimdiplomatie verwickelt. Schließlich beabsichtigtte Weimar mittels des Fürstenbundes eine Reichsreform, um die österreichische Übermacht zu brechen. Diese Politik bekam durch die bayerische Erbfolge von 1778 eine weitere Dringlichkeit.
Mit der Zusammenlegung der pfälzischen und der bayerischen Linie der Wittelsbacher unter Carl Theodor17, übernahm der Pfälzer in München eine Reihe von Geheimverträgen, die Österrreichs Macht noch mehr zu stärken drohten. Der Heidelberger Gemäldesammler Sulpitz von Boisserée, der mit dem Kurfürsten Carl Theodor nach München zog, überlieferte, dass ihm Goethe anvertraut habe, er sei in den frühen diplomatischen Jahren an einer geheimen „Verschwörung“ beteiligt gewesen – auch das ein weiterer Hinweis.
Und die Delphin? Sie lieferte mit ihrem Heidelberger Handelshaus und ihren Verbindungen zum Mannheimer Hof Carl Theodors die Deckadresse für die antiösterreichische Politik. Diese Tatsache ist durch den Mannheimer Geheimdienst überliefert, der die bekannte Geschäftsfrau als diejenige Adresse ansah, von der aus gefährliche Druckschriften verbreitet wurden. Am 14. September 1781 schrieb Frau Rat Goethe direkt an Herzogin Anna Amalia von Sachsen Weimar. Goethes Arbeitgeber war die zentrale Person der Fürstenbundidee und die Delphin gehörte wohl zum inneren und vertrauten Kreis derer, die in einer Verschwörung um den Herzog von Sachsen-Weimar zusammengearbeitet hatten. Das wussten die Mütter der politischen Akteure.
Offensichtlich waren es die Regeln der Geheimhaltung, die Goethe zum Schweigen brachten, die Korrespondenz der Delph verschwinden ließen und sich so ein „Halbdunkel um ihre Person“ entwickelte. Diese Sicht lässt das Phänomen „politica“ sinnhaft werden.
Als Dorothea Delph 1808 verstorben war, ordnete ihr Großneffe Henking18 die Erbschaft. Fast neunzehn Jahre lang hatte sich die Händlerin zuvor als „hilfreiche Autorität“ energisch und mütterlich um ihn und seine Geschwister, die fünf Waisenkinder des Heidelberger Hofapothekers, gekümmert, indem sie die Privilegien der Hofapotheke beim Kurfürsten für die Kinder verteidigte. Stringent argumentierte sie damit, sich um das Wohl der Kinder zu sorgen, die ihr als „Beystand“ zugewiesen waren. Ihr Hausverkauf im Juni 1801 für 6000 Florin schienm mit dieser neuen Aufgabe zusammenzuhängen, denn die Alternde war nach dem Tod ihrer älteren Schwester Sibylle Elisabeth zu den Kindern in die nahegelegene Hofapotheke gezogen. Als sie dort am 20. Oktober 1808 verstarb, entdeckte ihr Großneffe und das Hausmädchen eine Eisentruhe voll Silbergeschirr. Mit dem Geld der „alten Mamsell“ schickte er das Mädchen zum Bäcker, damit für den Leichenschmaus frisches Gebäck in Hülle und Fülle und recht guter Kaffee gekauft wurde. In seiner Familiengeschichte erinnert er sich begeistert an den üppigen Leichenschmaus: “Das war eine Totenfeier!“
I L O N A S C H E I D L E
|